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Kultur
09.02.2022

Die Kulturmacherin und -vernetzerin Marietta Kobald

Marietta Kobald ist eine Frau mit vielen Hüten.
Marietta Kobald ist eine Frau mit vielen Hüten. Bild: Christian Clavadetscher
Marietta Kobald trägt viele unterschiedliche Hüte und doch steht bei jedem ihrer Projekte die Kultur des Prättigaus im Fokus. In diesem Jahr feiert die von ihr präsidierte Anny Casty-Sprecher-Stiftung 30-jähriges Bestehen, unterstützt in diesem Rahmen das temporäre Kunsthaus Klosters und wird einen Kulturpreis vergeben. Ihre Bäsmäbeiz «Zum Wäschhuus» geht in die zweite Saison, sie ist beteiligt am Kunsthaus Klosters und falls sich die Lage mit der Pandemie wieder beruhigt, wird man die engagierte Strahleggerin auch wieder als «Prättiger Chreemäri» im Tal antreffen.

Ursprünglich habe sie eine technische Lehre gemacht, sagt Marietta Kobald. «Ich habe die ‹Stifti› in Trimmis als Hochbauzeichnerin gemacht und danach für Peter Zumthor gearbeitet.» Ende der Achtziger Jahre war sie dann die erste Frau, die in Fideris in den Gemeinderat gewählt wurde. Auch dort war sie für das Baufach und als Brandschutzsachverständige tätig. In den 90er-Jahren wurde sie Mutter und anfangs 2000 hatte Kobald dann die Nase voll von den strengen Bauvorgaben und entschied sich für eine Umschulung.

Über den P&H zur Kultur

An der Fachhochschule Chur, die damals noch unter dem Namen HTW bekannt war, machte sie ihr Diplom im Medienbereich. Mit diesem konnte sie direkt beim «Prättigauer & Herrschäftler» anfangen. «Aus einer temporären Ferienablösung entstand nach ein paar Monaten eine Festanstellung von 30 bis 50 Prozenten.» Der Tätigkeit als Journalistin unter dem damaligen Redaktionsleiter Marco Schnell ging das Fideriser Original bis im Jahre 2007 nach. Im da-rauffolgenden Jahr machte sie sich selbstständig mit Fotografieren und dem Schreiben von Texten. «Auch wenn ich die Arbeit beim P&H sehr gerne gemacht habe, entdeckte ich doch mit der Zeit, dass mich die vielen Facetten der Kultur am meisten interessieren. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, nur noch das zu machen, was ich liebe.»

Die «mä sötti no»-Marietta

«Es gibt einfach zu viele Projekte, die mich faszinieren, wobei das nicht nur die Vergangenheit ist, sondern ebenso die Zukunft.» Ihr Motto lautet denn auch: «Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.» (nach Francis Picabia). Durch ihre jahrelange Arbeit für die Kultur im Prättigau, so auch mehrere Jahre als Kulturbeauftragte, ergeben sich immer wieder neue Projekte von denen es dann heisst «Mä sötti no, …» Sie glaube ja inzwischen fast ein wenig, dass das «mä» wohl für Marietta stehen müsse. «Mich fasziniert der Austausch mit Menschen, ich recherchiere gerne, ziehe mich aber auch manchmal zurück.» Vor einigen Jahren habe sie das Filmarchiv Abeni und danach im Auftrag des Kantons weitere Filme inventarisiert. Sehr spannend sei dabei gewesen, zusammen mit Zeitzeugen die Namen der auf diesen alten Super-8-Filmen vorkommenden Menschen he-rauszufinden. «Es wäre doch eine Schande, wenn solche Perlen einfach in einem Archiv verstauben oder irgendwann sogar vergessen würden.» Seit 2011 ist die passionierte Fotografin im Vorstand der Walservereinigung Graubünden, seit 2008 im Vorstand der Anny Casty-Sprecher-Stiftung und seit 2013 deren Präsidentin. Zudem ist Kobald Mitglied der Präkuscha und wann immer möglich mit ihrer Fotokamera unterwegs. Auch wenn alle ihre Tätigkeiten für sie sehr erfüllend sind, oft bleibe am Schluss wenig hängen. «Da ich ein recht umfangreiches Archiv besitze und im Tal und darüber hinaus sehr gut vernetzt bin, erhalte ich viele Anfragen. Solche Arbeiten zu verrechnen, sei einfach nicht möglich.» Sie schätzt, dass sie pro Woche mehr als einen Tag mit solchen Anfragen beschäftigt ist. Grosse Unterstützung in ihrem Tun erhält Kobald von ihrer Familie und im Gegenzug ist sie für die Administration des Informatikbetriebs ihres Mannes zuständig. In der Tat ist es erstaunlich, wie viel Energie Kobald trotz den Schwierigkeiten immer noch aufbringen kann für die Kultur im Prättigau. Einige recht aktuelle Beispiele sind das Singheft mit Kinderliedern im Walserdialekt «Alles Bschiss» oder die im vergangenen Sommer eröffnete «Bäsmabeiz» vor ihrem Haus in Strahlegg. «Beides waren Projekte, bei denen jemand ‹mä sötti no...› gesagt hat.» Neben dem Kunsthaus in Klosters beschäftigt sich die kreative Fideriserin mit einem Buch über Strahlegg, Arbeitstitel «Hüüscher und Lüüt» und mit der Dialekt-Transkription von 21 Tonbandkassetten mit Aufnahmen aus den 90er-Jahren. Abgeschlossen hat sie im letzten Jahr ausserdem ein Online-Literaturverzeichnis über die gesamte Walser Dialektliteratur des Kantons Graubünden im Auftrag der Walservereinigung. Für die Zeit nach der Pandemie hat sich Marietta Kobald ausserdem vorgenommen, wieder mehr als «Prättiger Chreemäri» im Tal unterwegs zu sein. In dieser Rolle reist sie mit E-Bike und Anhänger von Dorf zu Dorf und verkauft Literatur und Kunsthandwerk aus der Region. Dazu gehören nicht nur Bücher, die sie selbst herausgegeben oder mitgearbeitet hat, wie das «Prättigauer Mundartwörterbuch», die Mundart-Anthologie «Läsiblüescht» oder auch «Zwiärggälä, Ärschlig und Burrä», sondern auch uneigennützig Kunstwerke und Handarbeiten von Persönlichkeiten aus dem Prättigau. Bei so viel Engagement bleibt eigentlich nur eine einzige Frage offen: Wann wird ihre grosse Hingabe und Arbeit für das Tal, den Walser Dialekt und die Kultur im Prättigau eigentlich mit einem Kulturpreis honoriert? Die Zeit dafür wäre längst reif.

Christian Imhof