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« Ich habe es immer gut gehabt !

Ursula «Utti» Luck-Gredig wird am Ostermontag 103 Jahre alt.
Ursula «Utti» Luck-Gredig wird am Ostermontag 103 Jahre alt. Bild: R. Rauber-Bühler
Es ist schon etwas ganz Besonderes, zu einem 103. Geburtstag einen Besuch machen zu dürfen. Dazu bei einer Jubilarin, die einem bei bester Gesundheit und in geistiger Frische empfängt. So kürzlich geschehen in «Martischgaden» in Saas, wo Ursula («Utti») Luck-Gredig am kommenden Ostermontag ihren 103. Geburtstag feiern darf.

Eine offene Haustüre, ein herzliches «Willkomm», beides Anzeichen für ein offenes Haus und Herz, begrüsst mich schon vor dem Haus. Und die Jubilarin selbst: «liäbärtig», bescheiden und freundlich wie immer! In der trauten Wohnstube fühl ich mich augenblicklich wohl. Irgendwo im Hintergrund läuft im Radio die «Musikwelle» und verbreitet eine gemütliche Stimmung. Uttis waches Augenpaar, ihre offene Art zu allem, was das Leben bringt, das macht neugierig. Wahrhaftig: die Entwicklung und Veränderung der Welt in einer Zeitdauer von über hundert Jahren selber und gesund mitzuerleben, das ist ein Geschenk. So sieht es Utti Luck selber auch. Sie, in Saas aufgewachsen, in einer Zeit, als der elekt­rische Strom erst wenig zuvor ins Tal gekommen war, als kurz vor ihrer Geburt die Spanische Grippe in ganz Europa tobte, als der Erste Weltkrieg nur gerade ein Jahr vorbei war und seine Spuren hinterliess... Es gäbe Bände zu füllen, würde man alle Geschehnisse und Ereignisse, welche die Jubilarin im Laufe ihres Lebens miterlebte, auflisten. Das sei aber nicht ihre Art, sagt Utti. Sie schaue lieber vorwärts als zurück. Und dennoch, an einigen wichtigen Daten kommt auch sie nicht vorbei; Höhen und Tiefen eines Menschenlebens, die halt einfach dazu gehören. Schon mit vier Jahren verlor Utti ihre Eltern in Serneus und kam dadurch zu ihrem «Ehni» nach Saas. Zeitlebens war er für sie nicht nur ein wunderbarer Ersatzvater, er blieb für sie immer ein Vorbild.

Erinnerungen sind Lebensstationen

So erinnert sich die Geburtstags-Jubilarin an ihre Schulzeit; damals, als noch keine motorisierten Fahrzeuge durch das Dorf Saas fuhren. Oder als es das erste Auto in Saas gab... Aber auch an die Zeit, als berufliche Tätigkeiten für Frauen noch ein Fremdwort waren. Obschon gerade sie, Utti, zu den Mädchen gehören durfte, welche damals die Frauenschule in Chur besuchen und später sogar das Handwerk mit dem Webstuhl erlernen durfte. Ihr Webstuhl steht übrigens noch heute im Nebenbau, wo sie hin und wieder ihrer Urenkelin Lea diese spezielle Handwerkskunst weitervermitteln darf. Der einfache Landwirtschaftsbetrieb in «Martischgaden», den sie zusammen mit ihrem bereits vor Jahren verstorbenen Ehemann Andres Jahrzehnte lang betrieb, bildete die Existenzgrundlage für die neunköpfige Familie. Ihr Gatte war daneben ein begnadeter Holzschnitzer und -bearbeiter. Durch ihn entstand manch schönes Holzkunstwerk. Und zusammen mit dem Webstuhl von Utti und ihrer Handfertigkeit war darum «Martischgaden» über viele Jahre nebst dem Bauernbetrieb ein Stück weit auch eine Art «Saaser Kunst-Handwerkstatt».

Gerne erinnert sich Utti an die lebhaften Jahre, als die ganze Familie noch zu Hause war. «Jungmannschaft im Haus erhält jung», sagt sie mit Stolz und Schalk. Kein Wunder, dass sie darum über all die Jahre Mittelpunkt der Familie blieb; bis hin zu den Urenkeln im naheliegenden Wohnhaus. Beim Urnani wird auch heute noch fast täglich gemeinsam gegessen, gehengert und im oberen Stock musiziert. Schliesslich ist Utti auch einer der treuesten Fans der familieneigenen «Lenglerkapelle»! Und kein Tag vergeht, ohne dass Urenkel Lenz auf seinem Schulweg nicht einen kurzen Blick und ein frohes «Hallo» in Nani’s Wohnung wirft.

Utti mit Urenkel Lenz. Bild: R. Rauber-Bühler

Licht und Schatten

Wie fast überall herrschte auch in Utti’s Leben nicht nur Sonnenschein. «Wo Licht ist, ist auch Schatten», pflegt sie zu sagen, und sie weiss, was sie meint. Die In­validität und das allzu frühe Ableben ihres einen Sohnes Andres, der Heimgang ihres Gatten und vor einigen Jahren der plötzliche Tod ihrs Enkels Andres prägten ihr Leben mit. Eines der eindrücklichen Kunstbilder von Sohn Andres hängt übrigens zu seiner Erinnerung an der Wand in Uttis heimeliger Wohnstube. Ihre positive Grundeinstellung, ihre sprichwörtliche Bescheidenheit und ihre Bereitschaft, Dinge so anzunehmen, wie sie sind, waren stets ihr wertvolles Lebensmotto. Waren es früher die Krisenjahre nach den Weltkriegen, war es später der Wohlstand unserer Zeit, alles nahm die in ihrem Leben nie ernsthaft krank gewordene Jubilarin als Fügung an. Und es vergehen wenige Tage, in denen sie ganz allein in ihrer warmen und liebevoll eingerichteten Wohnstube in «Martischgaden» sitzt. Und selbst dann gehört Abwechslung dazu; zum Beispiel das Lesen der «Zytig» oder eines Buches (ohne Brille natürlich!), das Strümpfe-Stricken für die Familie oder dass sie sich von Enkeln und Urenkeln von neuer Kommunikations-Technik ins Bild setzen lässt. – Dass übrigens die in der Nähe wohnenden Urenkel nur bei ihr fernsehen dürfen, weil im eigenen Haushalt kein solcher existiert, ist für Utti ein besonderer Pluspunkt. Damit gelangen nicht nur immer neueste Nachrichten in ihr Wohnzimmer, sie bleibt somit auch automatisch am Puls der Zeit und so verbleibt ihr praktisch keine Gelegenheit für trübe Gedanken, für Müdigkeit oder gar ein längeres Nickerchen im Lehnstuhl. Wäre ja schliesslich auch der pure Luxus, –mit immerhin 103 Jahren!

Rolf Rauber-Bühler