Um 7.30 Uhr beginnt die Tour bei der alten Post in Ascharina. Wie vor 50 Jahren, werden alle Ställe besucht, in denen damals die Bauern ihre Geissen am Morgen zur Herde liessen. In gemächlichem Tempo geht es dann bergwärts über die Schwendegga bis zum
Aebiboden.
Der letzte Geissler von St. Antönien
Dort wird grilliert oder wie man früher sagte «gspieslet». Wer noch fit ist, kann einen Ausflug auf das Jägglishorn – vielleicht noch einen Abstecher zum Chriesitrögli machen.
Der Heimweg wird über den Aschariner-Hintersäss zum Melkstein und weiter über den Vordersäss ins Tal genommen. Die Einkehr im Berggasthaus Bella-
wiese schliesst den Tag ab.
Bei gemütlicher Volksmusik lässt man das aktuelle Erlebnis, wie auch die Geisslerzeit vor 50 Jahren noch einmal Revue passieren.
Eine Zeit, die ein Geisshirt Zeit seines Lebens nie vergisst.
Mit 80 Ziegen und meinem Hund Tambi verbrachte ich von 1969 bis 1972 jeden Sommer mehr als fünf Monate lang im Gebiet zwischen dem Frösch und der Rätschenfluh.
Eintönig manchmal, wenn bei Regenwetter und schlechtem Unterstand die Zeit nur langsam vorbeiging. Aber auch spannend oder unterhaltsam, wenn am Abend beim Einsammeln der Herde nur die Hälfte der Ziegen da waren.
Man war immer auf sich allein gestellt und hatte den Auftrag, die Ziegen am Morgen auszuführen und am Abend wohlgenährt wieder nach Hause zu bringen.
Am Anfang war dies eine echte Herausforderung für einen 10-Jährigen.
Der grossen Verantwortung war man sich weniger bewusst. Hingegen musste man sich an die langen täglichen Reisen jeden Tag zuerst gewöhnen.
Mit Trikuni an den Schuhen, einem Lodenmantel um oder wetterbedingt auf dem Rucksack ging es von Anfang Mai bis Ende Oktober täglich bergwärts. Ferien oder Freitage kannte man keine. Die aufsummierte Strecke in all den Jahren ist beträchtlich und hätte bei konsequenter Weiterverfolgung des Trainings zu Spitzenplätzen in der Leichtathletik gereicht.
Beinahe 10 000 km Laufen mit einer halbe Million Höhenmeter würde auch heute noch als fleissige Trainingseinheit gelten.
Die glückliche Rückkehr am Abend im Glockengebimmel der Ziegenherde entschädigte alles und motivierte jeden Tag neu.
Ich freue mich wie damals auf diesen 31. Juli und wenn beim Haus vom Annadeti, wie damals ein Totenbeinli, fein säuberlich verpackt an der Hausklinke hängt, dann bin ich mir sicher, dass ich auch im nahenden Rentenalter noch leuchtende Kinderaugen bekomme und vor Freude juchze.