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20.07.2022

Ein grosser Schritt für Kind und Eltern

Bild: zVg
Der Kindergarteneintritt ist ein grosser Schritt für die Kinder und Eltern.

Elia ist 5-jährig und der Älteste von drei Geschwistern. Er wird nach den Sommerferien das erste Kindergartenjahr im Dorfkindergarten absolvieren. Obwohl er und seine beiden Geschwister einmal wöchentlich in die Kita gehen und er seit zwei Jahren regelmässig die Spielgruppe besucht, scheint Elia bezüglich Kindergarteneintritt etwas hin- und hergerissen zu sein. Einerseits ist er stolz schon bald zu den grossen Schulkindern zu gehören und einen Kindergartenstreifen tragen zu dürfen, andererseits fürchtet er sich ohne Mama und Papa den Kindergarten zu besuchen. Elia mag es nicht, wenn man ihn nach seiner Vorfreude in Bezug auf den Kindergarteneintritt anspricht. Hingegen geniesst er es, abends vor dem ins Bett gehen, das lustige Kindergartenbuch gemeinsam mit seinen Eltern anzuschauen. Dieses abendliche Ritual und die daraus resultierenden Gespräche vermitteln Elia ein Gefühl der Sicherheit.

Bedeutsame Veränderungsprozesse

Der Kindergarteneintritt ist ein sogenannter «Übergang» oder auch «Transition» genannt. Dabei handelt es sich um ein Ereignis, welches für die Betroffenen bedeutsame Veränderungen mit sich bringt. Eine Transition erfordert eine neue Ausrichtung, dazu gehören das Knüpfen neuer Beziehungen sowie das sich Loslösen von Bezugspersonen. Letzteres löst in den meisten Fällen ein intensives emotionales Erleben bei Kindern aus, bis hin zu starken Stressreaktionen. Kein Wunder, denn das Kind verlässt meist zum ersten Mal das schützende primäre Bezugssystem der Kernfamilie. Es erfolgt nun ein ständiger Wechsel zwischen zwei Lebensbereichen. Besucht ein Kind häufig die Kita, kann ein solcher Übergang teilweise schon früher erfolgen. Dennoch ist der Übertritt von der Kita in den Kindergarten ein nicht zu unterschätzender Schritt Richtung Autonomie des Kindes. Es ist plötzlich mit viel Neuem konfrontiert, was in der Fachsprache als «verdichtete Entwicklungsanforderungen» bezeichnet wird. Es folgen neue Reaktionen auf diese verschiedenen Anforderungen, welche intensive Lernprozesse zur Folge haben.

Kinder reagieren sehr unterschiedlich

So verschieden Kinder sind, so vielfältig fallen die Reaktionen auf den Kindergarteneintritt aus. Viele freuen sich bereits Monate voraus auf den Kindergartenstart und sprechen auch gerne darüber. Doch kurz bevor, suchen einige Kinder die Nähe ihrer Eltern verstärkt auf. Dies kann bis zu einem stark klammernden Verhalten führen, welches Eltern verunsichern kann. Dieser kindliche Appell nach Sicherheit und Geborgenheit nimmt in der Regel nach ein paar Tagen oder Wochen wieder ab. Andere Kinder wiederum realisieren erst mit dem Ende der Spielgruppe und/oder Kita, dass nach den Sommerferien ein neuer spannender Abschnitt folgt. Das konkrete Interesse für den Kindergarteneintritt rückt daher erst kurz zuvor in den Fokus dieser Kinder. Umso grösser dann die Vorfreude und die dazugehörende Anspannung auf das grosse Ereignis. Es gibt aber auch diejenigen Kinder, die sich mit Veränderungen besonders schwertun. Sie sind allgemein sehr vorsichtig, ängstlich und zeigen ein ausweichendes Verhalten. Alles Neue bereitet ihnen Angst und sie benötigen mehr Zeit, um sich auf Ungewohntes einzulassen. Wenn dieses Verhalten über längere Zeit gezeigt wird (oft schon in der frühen Kindheit) spricht man von «Verhaltenshemmung». Es handelt sich hierbei um Temperamentseigenschaften und nicht um eine Erkrankung. Laut aktuellem Forschungsstand ist jedes sechste Kindergartenkind davon betroffen. Eine Verhaltenshemmung hat auch positive Seiten, beispielsweise beobachten betroffene Kinder ihr Umfeld sehr genau, um dieses möglichst präzise einschätzen zu können. Ihre Achtsamkeit schützt sie vor Verletzungen und unnötigen Risiken. Eltern von Kindern mit Verhaltenshemmungen verspüren häufig einen hohen Leidensdruck, wenn sie miterleben, was selbst kleinste Veränderungen bei ihrem Kind auslösen können. Oft ist es für das Umfeld schwer, die Not solcher Kinder und deren Eltern zu verstehen. Daher werden betroffene Eltern nicht selten als zu protektionistisch und klammernd «abgestempelt». Gute Ratschläge oder Rechtweisungen von Drittpersonen können Eltern zusätzlich verunsichern und sind daher kontraproduktiv. Hilfreicher sind ein offenes Ohr und entgegengebrachtes Verständnis für die Sorgen und Ängste betroffener Eltern. Wenn der Leidensdruck von Kindern und Eltern jedoch zu gross wird, kann es hilfreich sein, eine Fachperson aufzusuchen, die diesen Prozess begleitet.

Über Gefühle sprechen hilft

Kinder, die unter Trennungsängsten leiden, benötigen seitens ihres Umfelds besonders viel Verständnis und Sicherheit. Daher ist es essenziell, dass Eltern die Gefühle ihrer Kinder erst nehmen. Trennungsängste, eine Mischung aus Angst, Unsicherheit und sich verloren fühlen etc. sind für Kinder besonders bedrohlich, da sie diese Gefühle nur selten in Worte fassen können. Daher kann das gemeinsame Benennen dieser Gefühle Klarheit und Sicherheit vermitteln. Es ist wichtig mit seinem Kind über diese Emotionen zu sprechen. Am besten in einem ruhigen Moment, wo sich das Kind sicher und geborgen fühlt. Transparenz ist ebenfalls ein zentraler Aspekt, wenn es um Trennungsängste geht. Kinder können besser loslassen, wenn sie wissen, was ihre Eltern in ihrer Abwesenheit tun. Kleine Morgen- und Abschiedsrituale können ebenfalls Sicherheit vermitteln. Auch das Einstecken eines kleinen Kuscheltiers, eines duftenden Seidenschals von Mama oder einer kleinen Muschel als Erinnerung an die gemeinsamen Ferien, können sich positiv auf das Sicherheitsgefühl des Kindes auswirken.

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten

Manche Übergänge gestalten sich langwieriger und fordern von allen Betroffenen einen langen Atem. Es ist daher besonders wichtig, dass Eltern ihrem Kind und sich selbst zutrauen, die Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Diese innere Haltung von Eltern «ich glaube an dich und deine Fähigkeiten, dass du es (bald) schaffen wirst», beinhaltet eine zentrale Botschaft. Denn je sicherer Eltern sich fühlen, desto mehr Sicherheit vermitteln sie ihrem Kind. Das wirkt stressregulierend auf den Nachwuchs und stärkt dessen Selbstvertrauen. Wichtig ist auch das Wahrnehmen bereits vorhandener Fähigkeiten, die das Kind für diesen Übergang benötigt. Erste kleine Fortschritte, z.B. das Mithelfen beim Packen der Znünitasche, das selbstständige Überqueren des Pausenplatzes etc. sollten als solche erkannt und benannt werden. Das hilft das Selbstwirksamkeitserleben von Kindern zu fördern, eine essenzielle Erfahrung, das Leben selbst beeinflussen zu können. Je selbstwirksamer sich ein Kind im Alltag erlebt, desto weniger fühlt es sich ausgeliefert und ängstlich.

Ein anderer wichtiger Aspekt bezieht sich auf die Erfahrungen, welche Eltern in ihrer eigenen Kindheit gemacht haben. Viele Betroffene erkennen Parallelitäten zwischen ihrem eigenen Verhalten und demjenigen ihres Kindes. Eine wichtige Erkenntnis, die Eltern hilft, sich noch besser in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Folgende Fragen können in diesem Zusammenhang dienlich sein: «Was hat mir damals geholfen kleine, aber auch grössere Herausforderungen zu meistern? Was habe ich damals von meinem Umfeld gebraucht? Und, was davon kann ich meinem Kind heute in dieser Situation zur Verfügung stellen?»

Zu guter Letzt ist das Vertrauen in die eigenen elterlichen Gefühle und Intuitionen zu erwähnen. Diese werden nicht selten von Zweifeln und Ängsten überschattet, umso wichtiger ist es ihnen genügend Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken. Denn wer vertraut, kann (besser) loslassen, das gilt sowohl für Eltern als auch für Kinder.

Alexa Niedermann