Der Bauernhof befand sich auf fast 900 Metern über Meer zwischen dem Bodensee und dem Toggenburg. Der Hof war Demeter-zertifiziert, was bedeutete, dass die Tiere, die Hochstammbäume, das Gemüse aus dem Garten biodynamisch bewirtschaftet werden. Dabei wird nicht nur auf bodenverseuchende Schadstoffe wie Fungizide, Pestizide und Herbizide verzichtet, sondern es wird ebenfalls darauf geachtet, sein Handeln nach den Gegebenheiten und dem Rhythmus des Bodens und der Natur allgemein auszurichten. Es gilt, möglichst naturfreundlich zu denken und zu handeln. Die Bauern, welche ich im August besuchte, hielten eine reinrassige Zuchtschafherde zum Fleischverkauf sowie ein gutes Dutzend Hühner für den Eigenbedarf an Eiern.
Hennentod
Als ich bereits zwei Wochen auf dem Hof mitgearbeitet hatte, stellte ich fest, dass drei ältere Hennen immer ärger von den jüngeren geplagt wurden. Sie rissen den alten Hennen mit dem Schnabel die Schwanzfedern aus. Auch der Hahn trug das Seinige bei, indem er sie mit dem Schnabel am Kopf blutig pickte. So entschied dann der Bauer, die drei alten Hennen von ihrem Leid zu erlösen. Gemeinsam köpften, rupften und nahmen wir sie aus. Ein Tier zu töten, und nicht bloss Fliegen und Mücken, sondern ein Huhn, war für mich eine zutiefst spirituelle Erfahrung, eine ungekannte Begegnung mit dem Tod, die ich erstaunlicherweise nicht als gut oder schlecht, sondern als völlig normal empfand. Ich musste viel Mut aufbringen, das Tier von seinem Leid zu erlösen. Musste einem Leben ein Ende setzen, um dadurch etwas Gutes zu tun. Ich bin grenzenlos dankbar für diese Erfahrung, denn auch ich kann durch eine höhere Macht oder einfach ein Missgeschick in jedem Augenblick meines Lebens meinen letzten Atemzug tun und kann jederzeit mein Leben lassen. Indem ich dieses Huhn getötet hatte, erfuhr ich mich selbst in einer völlig neuen Situation und wuchs daran. Etwa eine Woche später lag eine Henne zusammengekauert und regungslos im Stall. Diese Henne war bereits einige Tage an derselben Stelle gelegen, und jedes Mal dachte ich mir, dass sie vielleicht krank oder einfach nur alt sei und ihren letzten Atemzug bereits getan hatte. An einigen Morgen stupfte ich die Henne sanft an und sie hob noch einmal müde ihr Köpfchen. An jenem Morgen stupfte ich die Henne wieder an, doch diesmal blieb sie ruhig. Ich ahnte, was geschehen war, nahm das Tier mit beiden Händen und stellte fest, dass es friedlich eingeschlafen sein musste, denn es musste schon einige Zeit tot sein, da der Tierleib bereits starr geworden war und einen unangenehmen Verwesungsgeruch ausstiess. So hatte ich dann dem Bauern gezeigt, was geschehen war, und gemeinsam hoben wir ein Loch am Waldrand aus, vergruben das Tier darin und legten einige Steine darauf, sodass es dem Fuchs der im angrenzenden Wald lebte, unmöglich würde, den toten Tierleib auszugraben und zu verzehren.