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Landquart - Igis - Mastrils
01.03.2023
01.03.2023 13:27 Uhr

Das Paradies von Giacomo

Bild: Peter Müller
Ich bin einige Male am Coiffeurgeschäft von Giacomo vorbeigegangen, bis ich dann endlich die paar Treppenstufen hochgestiegen bin um einen Termin zu vereinbaren. Sofort wurde ich von einem nicht mehr ganz jungen Herrn freundlich begrüsst – er stellte sich als Giacomo vor. Zum vereinbarten Termin fand ich dann etwas mehr Zeit um mich in diesem kleinen Lokal umzublicken. Mir war sofort klar, über diese Örtlichkeit muss ich berichten, ein solcher Coiffeur-Salon befindet sich nicht an jeder Strassenecke.

Der Vater von Giacomo war Barbiere im kleinen 1000-Seelen Dorf Salcedo in Norditalien, aber leider verstarb er früh. So kam Giacomo 1972 in die Schweiz und absolvierte Hotelfachschule. Danach arbeitete er während vielen Jahren im Quellenhof in Bad Ragaz. Der Neubau dieses Hotel im Jahr 1995 war dann für ihn der Anlass umzusatteln und im August desselben Jahres eröffnete er seinen Coiffeur-Salon – oder besser gesagt: seine Coiffeur-Stube – an der Schulstrasse in Landquart.

Die Berufung
Obwohl Giacomo ja den Beruf des Frisörs ja nicht erlernt hat, denkt er, dass diese Begabung und eben auch Berufung in seinen Genen liegt. Heute ist er stolz darauf, dass er das Handwerk seines Vaters hier in der Schweiz weiterführt aber auch weiterlebt. Schon bald einmal sagt er mir im Gespräch, dass er sich sehr wohl bewusst sei, dass es tausende Coiffeure gebe, die besser Haare schneiden als er; aber es gebe keinen einzigen auf der Welt gibt, welcher so gerne Harre schneidet wie er. Für ihn sind Fantasie und Kreativität enorm wichtig und bedeuten auch die Basis für seine Arbeit. Bereits als kleines Kind habe er sich stets gefragt, warum er dies und jenes machen müsse und nicht einfach machen könne, was ihm in den Sinn komme und gefalle. Und wenn ich mit Giacomo spreche, so spüre ich förmlich seine Begeisterung und obwohl er bereits seit vier Jahren im Pensionsalter ist, so steht er immer noch drei Tage pro Woche in seinem doch sehr speziell ausge-statteten Lokal.

Das Paradies
Lachend sagt mir Giacomo, dass durch's Schaufenster geschaut, viele Leute denken hier sei eine Brockenstube. Seine Coiffeur Bude ist vollgestopft mit kleineren und grösseren Utensilien, welche den Charme dieses Raumes erst ausmachen. Selbstredend, für jemanden welcher im Gastrobereich gearbeitet hat, steht hinten im Raum eine kleine Bar, an welcher sich die Kundschaft nach dem Service noch zu einem Espresso mit Grappino, Amaretto oder halt auch einem Limoncello und einem kleinen Schwatz einfindet. Stress ist hier eindeutig fehl am Platz! Und Giacomo ist ja nicht alleine hier; beim Blick durch's Schaufenster sitzt ein Kunde auf einem alten Coiffeur-Stuhl. Aber Mario ist eben nur eine selbstgefertigte, lebensgrosse Figur, welche tagein tagaus Gesellschaft leistet. Es gebe sogar Kunden, welche beim Eintritt in den Salon Mario zuerst begrüssen.


Die Kunden sind für Giacomo wie eine Familie – und wenn ich ihn so sehe, so ist das auch wirklich so. Herzlichkeit und gute Laune sind auch dafür verantwortlich, dass heute Männer mit ihren Kindern zum Coiffeur kommen, welche früher selbst als Kinder hier ihre Haare geschnitten bekamen.

Die Freizeit
So wie ich Giacomo erlebe hat er wohl gar keine Freizeit. Und dennoch interessiert mich was der quirlige Mann macht, wenn er nicht gerade Haare schneidet. Und so ist es auch – er kann nicht ruhen. Schnell sagte er mir: Gartenarbeit, an seinen Fahrzeugen hantieren und basteln. Und beim weiteren Gespräch merke ich, dass basteln bei ihm nicht einfach etwas werkeln bedeutet. Mit Stolz zeigt er mir Bilder einer 2 Meter hohen Holzstatue eines Heiligen, welche er für "seine Kirche" in Salcedo gemacht und gespendet hat. Und beim näheren Umsehen in seinem Salon entdecke ich überall wieder kleine Holzkunstwerke, welche er selbst angefertigt hat. Diese Werke kontrastieren mit den alten Frisör-Werkzeugen, den Modellautos, den alten Radiogeräten und Uhren oder den Fotos von Giacomo mit besonderen Kunden.

Peter Müller