«Oft ist Armut versteckt»
Er war bis 2018 nämlich acht Jahre Gemeindepräsident von Poschiavo. Als er nicht mehr gewählt wurde, habe er sich ein wenig umgeschaut und eine sechs monatige Pause eingelegt. Dann sei plötzlich ein Angebot ins Haus geflattert vom ehemaligen Regierungsrat Claudio Lardi, der wie Della Vedova ebenfalls aus dem Puschlav stammt. Er habe ihm dann den Geschäftsleiter der Caritas angeboten, was ihn erstmals ein wenig irritiert habe, da er ja nicht der sei, der vom sozialen Bereich herkomme. Als Politiker und Finanzminister habe er dies eher von der anderen Seite her gekannt. Und doch habe er den Sprung ins kalte Wasser gewagt und es versucht, was er nicht bereut. «Ich muss sagen, es ist eine sehr wertvolle Erfahrung, die ich bisher gemacht habe. Gewisse Sachen verstehe ich inzwischen besser, als andere Menschen, die Vorurteile gegenüber von Armutsbetroffenen haben. Klar gibt es auch schwarze Schafe wie überall und doch sind viele Armutsbetroffene überhaupt keine ‘faulen Säcke’. Die allermeisten haben es schon schwierig von der Familie her und sind in einem Teufelskreis gefangen, der sehr schwierig zu überwinden ist.»
Dunkelziffer ist gross
Die offiziellen Zahlen zu der Armut in Graubünden sind laut Alessandro Della Vedova nur ein Teil der Wahrheit, da bei dem Thema Scham eine grosse Rolle spiele. «Oft ist Armut versteckt, denn die Betroffenen wollen sich nicht zeigen. Darum ist es schwierig eine konkrete und definitive Zahl zu nennen, da die Dunkelziffer gross ist. Was ich aber sagen kann, ist, dass wir im vergangenen Jahr rund 3200 Kulturlegi-Karten ausgestellt haben, die es ermöglichen im Caritas-Markt einzukaufen.» Um so eine Karte zu erhalten, müsse man ein Gesuch einreichen, auf dem steht, dass die Personen Ergänzungsleistungen beziehen oder das steuerbare Einkommen so tief ist, dass es eben gar nicht anders gehe. «Was mir ein wenig Sorgen bereitet, ist der Umstand, dass wir 2020 noch bei 1350 Kulturlegi-Karten waren. Die Zahl hat sich im Prinzip verdoppelt, was mir schon ein bisschen nachdenklich macht.» Die Situation in Graubünden habe sich aber nicht nur wegen dem Krieg in der Ukraine verschärft, von den 3200 Karten entfallen nämlich laut Della Vedova lediglich 500 auf Flüchtlinge von dort.
Hilfe zu Selbsthilfe
Mit einer solchen Kulturlegi-Karte kann man bei rund 90 Anbietern im Kanton Graubünden profitieren. Doch ganz gratis sei es nicht, wenn man beispielsweise als eine von der Armut betroffene Familie für einen Tag ins Museum gehen wolle. «Die Philosophie der Caritas ist es, zum Helfen da zu sein. Aber jede Person muss einen Beitrag leisten, um sich selber aus der Situation zu befreien. Im Durchschnitt gibt es jedoch eine Vergünstigung von circa 50 Prozent Rabatt.» Dies sei wichtig, da bei Armut oft die Freizeit und der Sport darunter leide. Zusätzlich zu dieser Karte hat die Caritas in diesem Jahr mit einem Projekt begonnen, dass Kulturlegi-Kartenbesitzer:innen aus dem ganzen Kanton für drei Franken zum Einkaufen in den Caritas-Markt fahren können. Dieses Angebot werde rege genutzt. «Wir sind hauptsächlich in Chur tätig und darum haben wir gedacht, dass wir eine Kooperation mit Postauto und der Rhätischen Bahn eingehen, damit die Kunden für einen Tag nach Chur kommen können und auch so noch ein wenig vom Alltag entfliehen können. Trotz den recht weiten Wegen kommen die Personen vorbei. Man muss sich immer bewusst machen, dass es einem krank macht, wenn man arm ist und seine Rechnungen nicht zahlen kann. So können die Personen wirklich günstiger einkaufen und zudem sich noch mit gesünderen und und vor allem frischen Lebensmitteln eindecken, die beim tiefen Budget leider auch oft auf der Strecke bleiben.» Wie die Caritas an die günstigen, aber hochwertigen Lebensmittel kommt, weshalb der Caritas-Leiter die Politik stark in die Pflicht nimmt, warum wir vor der Armut nicht mehr die Augen verschliessen sollten und vieles mehr sehen Sie im ganzen Sonntagsgespräch mit Alessandro Della Vedova auf Vilan24.