Der Schindelmacher Flütsch ist ein traditioneller Handwerker, der sich seit Jahrzehnten auf die Herstellung und den Einbau von Schindeln spezialisiert hat. Seine Schindeln sind dünne, meist rechteckige Platten aus Holz, die zur Eindeckung von Dächern und Fassaden verwendet werden. Diese Art der Dacheindeckung hat nicht nur im Prättigau eine lange Geschichte, sie ist besonders in ländlichen Regionen mit viel Holzvorkommen verbreitet.
Die Hauptaufgabe von Flütsch besteht darin, Schindeln aus hochwertigem Holz, wie z. B. Lärche oder Fichte herzurichten. Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, wie das Spalten, Hobeln und Schneiden. «Die Schindeln müssen präzise gefertigt werden, damit sie optimal aufeinanderpassen und eine langlebige, wasserdichte Schicht bilden». Flütsch ist auch für die Montage der Schindeln verantwortlich. Dies erfordert ein gutes Gespür für die Architektur des Gebäudes sowie ein Verständnis für die spezifischen klimatischen Bedingungen, die den Einsatz bestimmter Materialien beeinflussen können. Fürs Pfrundhaus in Grüsch brauchte es rund 8000 Schindeln. Es handelte sich um eine sogenannte Vierfacheindeckung. «Dabei verwendeten wir fürs zwiebelförmige Dach Schindeln aus Lärchenholz mit einer Länge von 32 cm und einer Fachweite von acht Zentimetern. Das ergibt pro Quadratmeter rund 140 Stück». Im Prättigau ist das Schindeldach nicht nur funktional, sondern auch ein wichtiges kulturelles Element, das zur Identität der Region beiträgt. In der heutigen Zeit gewinnt die Nachhaltigkeit im Handwerk zunehmend an Bedeutung. Der Schindelmacher verwendet oft Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. So wurden fürs Pfrundhaus etwa wintergeschlagene Lärchen aus dem Pendlatobel verwendet, welche an Schattenhängen aufwuchsen. Trotz der Herausforderungen durch moderne Baumethoden und Materialien bleibt das Handwerk des Schindelmachers nach wie vor ein wichtiger Bestandteil unserer Baukultur.
Wissen mündlich überliefert
«Zum Schindeln braucht es Geduld und gute Holzkenntnisse», sagt Hans Flütsch, während er auf der Holzbank vor seinem Haus in Furna sitzt. Schon sein Neni hatte dieses Handwerk beherrscht. «Ich lernte alles von meinem «Äti». Dabei habe ich nie etwas aufgeschrieben Aber ich habe ein gutes Gedächtnis.» Während Flütsch von seiner Kindheit in St. Antonien erzählt und dem Umzug nach Furna - nachdem sein Vater dort sein heutiges Haus gekauft hatte-bearbeitet er mit seinem Sackmesser wie nebenbei ein Stück Fichtenholz. Der gelernte Schreiner fühlte sich schon früh dem vom Aussterben bedrohten Handwerk hingezogen. «Irgendwie habe ich das Schindeln im Blut». Wenn Flütsch ein Stück Holz in die Hand nimmt und dem Laien die verschiedenen Aspekte und Besonderheiten im Detail erläutert, mutet es an, als ob er in einem Buch läse. Und es dämmert einem, wie viele Geschichten die verschiedenen Hölzer zu erzählen haben. Dass Schindelmachen aber auch Knochenarbeit ist, wird ebenfalls deutlich. Wenn es darum geht, 40 Kubikmeter Lärchenholz zu verarbeiten, darfst morgens nicht den Berg anschauen, sonst beginnt es im Kopf zu drehen.» Was seine Aufträge betreffe, so beinhalte jedes Projekt wieder andere Herausforderungen. Beim Zwiebelturm des Pfrundhauses in Grüsch verarbeiteten wir rund 8000 Lärchenschindeln, beim Kirchturm von Valzeina samt Eingangsbereich gar deren 10000. Dabei stand ihm dort nicht einmal ein Lift zur Verfügung, um das Material aufs Dach zu bringen. In mühseliger Arbeit musste alles über eine Rolle mit dem Sell hochgezogen werden. Während des Gesprächs bearbeiten Flütschs kräftige Hände mit viel Gefühl und feiner Klinge weiter. Aus dem Stück Fichtenholz ist inzwischen ein filigran geschnitztes Edelweiss geworden, welches er dem interessierten Gast aus dem Tal überreicht.
Mit dem Einbaum im Kongo unterwegs
Es würde kaum überraschen, hätte der bodenständige Prättigauer sein ganzes Arbeitsleben in seinem Heimattal verbracht. So staunt man nicht schlecht, wenn Flütsch von seinen abenteuerlichen Erlebnissen auf dem afrikanischen Kontinent zu erzählen beginnt. In der Manier des Filmhelden «Crocodile-Dundee» war er im wackeligen Einbaum auf den Flüssen im Kango unterwegs. Im Jahre 2010 wurde Flütsch nämlich angefragt eine Art Entwicklungshilfe zu leisten. Es ging drum, den Einheimischen zu zeigen, wie man beispielsweise Bänke und Tische aus Holz selber herstellt. So hat Flütsch rund 400 Kilometer von der Hauptstadt Kinshasa entfernt ganze 1600 Hektaren Land gekauft. Etwa ein Drittel davon war Urwald, der Rest bestand aus Buschland mit verkrüppelten Bäumen. Das Land zu kultivieren war selbst für einen «Hölzigen» eine immense Herausforderung. Warum tat sich dies Flütsch an? «Dass ich mich überhaupt auf des das Abenteuer Afrika einliess, hängt mit meiner Im Jahre 2019 verstorbenen Frau Marianne zusammen. Sie lebte bis zu ihrem 13. Lebensjahr mit ihrer aus der Schweiz stammenden Familie im Kongo». Die heutige Demokratische Republik Kongo war lange Zeit belgische Kolonie. 1960 wurde es unabhängig. In der Folge verliessen viele Weisse das Land. Unter ihnen auch Mariannes Familie. Zwischen 1971 und 1997 hiess es dann Zaire. Die Demokratische Republik Kongo ist leicht zu verwechseln mit dem Nachbarland Republik Kongo. Zur Unterscheidung nennt man die DR Kongo manchmal auch Kongo-Kinshasa.
Schwierige Gefängniszeit
Zu den bleibenden Erinnerungen gehört auch Flütschs Gefängnisaufenthalt vom 1. bis 7. März 2013. Was war passiert? In der Nacht kippte ein Lastwagen - beladen mit viel Material und 25 Menschen - Im Urwald im steilen Gelände auf schlammigem Untergrund um. Zum Glück wurde dabei niemand schwer verletzt. Es wurde sogar Im Fernsehen vom Unfall berichtet. Man sprach von einem Wunder», so Flütsch. Als er wieder in seiner Unterkunft angekommen war, klopfte es an seiner Tür. Als ich aufmachte stand ein Polizist vor mir und hielt mir ein Schreiben unter die Nase. Auch wenn er dessen Inhalt nicht genau verstehen konnte, wurde deutlich, dass er als fehlbarer Chauffeur des Lastwagens beschuldigt wurde. Er war zwar der Besitzer des Fahrzeugs, am Steuer hatte aber ein Schwarzer gesessen. Flütsch räumt ein, dass er «grindig» geworden sei. «Schliesslich habe ich in meiner Wut den Zettel zerrissen und aus Protest mit einem Ast auf den Boden geschlagen. Der Polizist griff zu seiner Pfeife und pötzlich stürmten acht weitere Polizisten herbei. «Jetz häsch dr Salat», habe er noch gedacht. Flütsch wehrte sich nach Kräften, versuchte sich überall festzuhalten. «Sie schlugen mir mit den Knüppeln immer wieder auf die Finger». Schliesslich legten sie ihn in Handschellen und verfrachteten ihn unzimperlich auf einen Pickup. Die Polizisten versuchten als Erstes seine Hosentaschen zu plündern. «Da sie nichts fanden, haben sie mir die Handschellen brutal eng angezogen.» Eine Narbe am Handgelenk zeugt noch heute von der Untat. Die Polizisten hätten die Aststücke, mit denen er in seiner Unterkunft auf den Boden gehauen hatte, ins Untersuchungsgefängnis gebracht und ausgesagt, er habe sie damit geschlagen. «Darauf bekam ich vom Untersuchungsrichter eine «Schwinte» an den Grind». - Maltraitiert mit zerrissenen Kleidern, Schürfungen und Schmerzen habe er sich nur noch zu helfen gewusst, indem er spontan einen Jodel abgelassen habe. Das habe auch den Polizisten gefallen. «Sie versuchten es dann ebenfalls». Dann wurde er in die Zelle gebracht. Mit einer Fläche von vielleicht fünf mal fünf Meter. «Wir waren 45 Gefangene, es war drückend heiss und es hat fürchterlich gestunken. «Da habe ich auf Lingali ( eine afrikanische Verkehrs- und Handelssprache) die erste Strophe eines Liedes angestimmt, das alle Menschen im Kongo kennen: «Jesus ist da...» Zu meiner Verwunderung haben alle mitgesungen». Auch wenn die Bedingungen nach der Überführung ins Hauptgefängnis besser waren, sagt Flütsch: Als Naturmensch habe ich am meisten darunter gelitten, höchstens ein Streifchen Blau des Himmels war von der Zelle aus erspähen zu können.» Erst nachdem seine Frau bei der Schweizer Botschaft in Kinshasa vorstellig geworden war und die Ungerechtigkeit publik wurde, kam Flütsch nach langen Tagen endlich wieder frei.
Kutscher und Älpler in Davos
Als junger Mann arbeite Flütsch in Davos im Winter in einem Kutschereibetieb. Mit dem Pferdeschlitten brachte den Touristen die Schönheiten der Landschaft Davos näher. Im Sommer ging hütete er auf der Lochalp das Galtvieh. Dabei lernte er seine spätere Frau Marianne kennen, die damals im Elternhaus ihrer Mutter in Davos lebte. Die beiden heirateten im Jahre 1979 und gründeten eine Familie mit inzwischen vier erwachsenen Kindern. Jonathan, der Zweitjüngste, ist übrigens auch Schreiner geworden. «Ob er sich einst dem Schindelmachen zuwenden wird, ist derzeit offen», sagt sein Vater.
Als Alpöhi im Heididorf
Neben dem Schnitzen und Schindeln verfügt Flütsch auch über ein gewisses schauspielerisches Talent. Mit seinem Bart verkörpert er im Heididorf Maienfeld den Alpöhi geradezu idealtypisch. Da er das Arbeiten mit Holz wie kein anderer beherrscht, schnitzt für die Besucherinnen und Besucher gerne seine Edelweisse als beliebte Souveniers. Im Heididorf bietet sich also Gelegenheit, Hans Flütsch beim Schnitzen über die Schultern zu schauen. Und mehr noch: Kindern und Erwachsenen bietet er ein besonderes Erlebnis, indem ihnen innerhalb von Kursen das Schnitzen sogar beibringt.