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Das Tal an der Grenze

Das Autogramm des Autors.
Das Autogramm des Autors. Bild: Peter Müller
Am ersten Advent stellte der ehemalige St. Antönier Pfarrer, Holger Finze-Michelsen, sein neuestes Buch vor. Jann Flütsch von der Kulturgruppe St. Antönien konnte überraschend viele Personen an diesem sonnigen Nachmittag zu diesem Anlass im Volksmusighus begrüssen.

Neben dem Autor waren weitere Protagonisten anwesend, welche an diesem Buch mit historischen Ereignissen und Betrachtungen mitwirkten. So stellte Eva Zopfi den verantwortlichen Buchverlag vor und warb für das neue Werk von Finze, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die kommende Weihnacht, als Geschenkidee.

Die Not war gross

Das Buch ist eine Dokumentation, vor allem um die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, wo das Grenzgebiet zu Österreich für Flüchtlinge und Schmuggler im Vordergrund stand. In seinen Recherchen erhält Finze Einblick in bisher nicht offengelegte Dokumente. Einerseits bilden Aufzeichnungen und Protokolle von der Grenzwacht, andererseits aber auch Dokumente aus dem Nachlass des früheren St. Antönier Pfarrers Kuno Fiedler, der selbst als Flüchtling in die Schweiz kam, die Basis für die «Geschichten aus der Geschichte».

Die Nöte der verfolgten Menschen, aber auch die Einschränkungen der ennet der Grenze lebenden Personen führten dazu, dass besonders im Grenzgebiet, so eben auch im Rätikon, besondere Geschichten entstanden, oft auch sehr schicksalshafte. In den Kriegsjahren herrschte eine Hungersnot im Vorarlbergischen und in den umliegenden Ländern waren Tabakprodukte rationiert und so war der Schmuggel über die Grenze an der Tagesordnung.

Interessante Gespräche. Bild: Peter Müller

An der Grenze

Martin Sprechers grösster Wunsch war, Grenzwächter im Rätikon zu werden. Nachdem er 1985 seinen Grenzwächterhut erhielt, war allerdings Campocologno die erste ihm zugewiesene Station. Im Verlaufe seiner Laufbahn wurde er Chef der Grenzwächter im Kanton Graubünden und war zumindest so mit dem Grenzgebiet in der Region Prättigau verbunden. Während seiner beruflichen Tätigkeit sammelte er viele Unterlagen und Dokumente, welche sonst verschwunden wären. Dabei handelte es sich auch um viele Rapporte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Als einer der «Dokumente-Lieferanten» für Finzes neues Buch wusste er einiges über die damalige Situation aus der Region Prättigau zu berichten. So seien die erwischten Schmuggler oft willig zu Auskünften bereit gewesen, was dann oft zu Einvernahmen weiterer Personen geführt habe. Oder, dass es im Rätikon – im Gegensatz zu anderen Grenzgebieten – kaum zu Schiessereien gekommen sei. Dazwischen las Holger Finze immer wieder einige Abschnitte aus seinem dokumentarischen Buch.

Flüchtling und Pfarrer

Einer der Vorgänger von Holger Finze als Pfarrer in St. Antönien war Kuno Fiedler. In seinem Testament ernannte er Richard Schneller als seinen Alleinerben und somit auch zum Nachlassverwalter. Auch aus diesen Aufzeichnungen und Dokumenten ist einiges in Finzes neueste Publikation verwoben.

Schneller berichtete einiges über das Leben von Kuno Fiedler, welcher in Deutschland im September 1936 ohne Angabe von Gründen durch die Gestapo verhaftet wurde. Später erfuhr dieser, dass er als Agent eines Spionagerings um Thomas Mann vermutet wurde. In einer abenteuerlichen Flucht aus dem Gefängnis in Würzburg erreichte er die Schweiz, wo er mit Unterstützung Thomas Manns und kirchlicher Kreise die Pfarrstelle in St. Antönien zugesprochen erhielt. Er unterhielt einen regen Schriftwechsel mit dem Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und mit dem Schriftsteller Hermann Hesse. Im Archiv, welches Schneller nun versucht zu ordnen und katalogisieren, finden sich viele Trouvaillen dieser beiden Literaten, welche in engem schriftlichem Kontakt mit Fiedler standen. Fiedler selbst verstarb 1973, nachdem er seine Jahre nach der Pensionierung zurückgezogen im Tessin verbrachte.

Die Flucht der Familie Neufeld

Zum Abschluss der Buchvernissage las Holger Finze aus der Geschichte der Familie Neufeld, welche bei Nacht und Nebel die Flucht in die Schweiz wagte. Nachkommen der Familie verfolgten die Lesung mit grossem Interesse. Da die Grenze im Rheintal inzwischen streng bewacht wurde, war ein Ausweichen über die Berge und Übergänge in der Grenzregion der einzige, aber anspruchsvolle Ausweg. So machten sich die Neufelds auf via Bludenz und Tschagguns und über das Sulzfluhmassiv nach St. Antönien, wo sie sich nach kräftezehrender Flucht endlich in Sicherheit wähnen konnten.

Diese und noch viel mehr authentische Schilderungen und Begebenheiten sind in diesem Buch zusammengetragen und bilden so den zweiten Teil einer Buchreihe, nach dem Werk «In diesem wilden Tal». Beim abschliessenden reichhaltigen Apéro, offeriert von der Kulturgruppe St. Antönien, bestand ausreichend Gelegenheit, mit den anwesenden Referenten Gedanken auszutauschen oder gar noch die eine oder andere besondere Geschichte oder Begebenheit zu erfahren.

Peter Müller