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Schiers
16.02.2025

Omas Kindheit – grosse Not, kleine Wunder

Historikerin Lea Moliterni, Maturandin Janina Spescha und Lehrerin EMS Isabel Schweizer.
Historikerin Lea Moliterni, Maturandin Janina Spescha und Lehrerin EMS Isabel Schweizer. Bild: E. Bardill
Das Kinderhilfswerk des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK ist Thema der Maturitätsarbeit von Janina Spescha an der EMS. Ihre Oma ist in der Nachkriegszeit durch diese Aktion vor rund 70 Jahren in die Schweiz gekommen. Später kam sie, um zu bleiben.

Ein Stück Zeitgeschichte geht tief unter die Haut. Mit einem Podcast wählte Janina aus Zizers die moderne Kommunikationsform, durch die man direkt in die Geschichte und die Interviews einsteigen kann. Die sorgfältige Arbeit bedeutet zugleich Janinas Einstieg in die Medienwelt. Dank erhellender Fragen an ihre Oma, geboren 1941, vernehmen wir eine Herzensgeschichte über die kriegsbedingten Umstände in Deutschland, die Reise von Kindern und die teils wunderbaren Pflegeplätze in der Schweiz. Dank dem direkten Kontakt mit der Historikerin beim SRK, Lea Moliterni, öffneten sich für Janina wichtige Kanäle für den Ausschnitt schweizerischer Sozialgeschichte.

Die Gastschwestern, 1949 Bild: U. Theinert

Kindheit in Deutschland

Ilse Müller-Jürgens, die Oma von Janina, lebt heute in Lützelflüh. Ihre Kindheit in Hamm, Westfalen, war vom Krieg überschattet. Betroffen waren vor allem die Kinder, da sie keine unbeschwerte Kindheit erleben konnten. Es fehlte an allem, an Kleidung und Schuhen und vor allem an Nahrung. Hunger war ein ständiger Begleiter. Der Vater war als Kriegsgefangener nach dem Ende des Krieges (1939–1945), weit weg von der Familie. Die siebenjährige Ilse konnte durch ein Wunder, wie sie es heute benennt, mit einem Kinderzug in die Schweiz fahren, wo sie in Stettlen bei Bern zu lieben Gasteltern kam. Für Ilse waren die drei Monate wie das Paradies. Dieser Aufenthalt wurde zur prägenden Lebenserfahrung. Während all der Jahre danach durfte das heranwachsende Mädchen ferienhalber nach Stettlen reisen. Sie heiratete den Schweizer Martin Müller und spricht heute gutes Berndeutsch. – Janina Spescha hat eine spezielle Beziehung zu ihrer Oma, da sie ihre Schulferien oft und gerne bei den Grosseltern verbrachte. Immer und immer wieder wollte sie die Geschichten aus Omas Kindheit hören. Sie stellte sich vor, wie das Haus zerbombt ist, wie man ohne Dach über dem Kopf leben muss und alle persönlichen Sachen unter den Trümmern liegen. Die Mutter hat kein Geld für das Essen mehr und der Vater ist im Arbeitslager von Kriegsgefangenen festgehalten. Von Omas Erzählungen wie auch von deren Liebesgeschichte war und ist Janina tief berührt.

Ankommende Kinder im Zug, 1947. Bild: E. Bardill

Erinnerungen wachrufen – Glück weitergeben

Die Kinderhilfe des SRK war eine von 1942 bis 1956 dauernde Hilfsaktion zugunsten von kriegsgeschädigten Kindern aus mehreren europäischen Ländern. Mit den Rotkreuz-Kinderzügen kamen 180 000 ausgehungerte bedürftige Kinder für drei Monate zur Erholung in die Schweiz. Gemeindekanzleien, Samaritervereine und Pfarrhäuser riefen per Anschlagbrett wiederholt zur Aufnahme von Kindern auf. Die Solidarität war gross und es meldeten sich genügend Leute für diese Aktionen. Es gab dafür keine Entlöhnung. Bedingungen, um Kinder so aufnehmen zu können, als gehörten sie dazu, gab es praktisch keine. Viele dieser Ferienkinder hatten noch nie eine Kuh oder einen blühenden Kirschbaum gesehen. Für sie war es das Paradies und sie kamen später wieder in die Schweiz, oft im Dienstleistungsverhältnis oder durch Heirat. Die Historikerin Lea Moliterni hat eine Vielzahl von diesen ehemaligen Zugkindern besucht und befragt für den Film «Halt im Paradies». Er ist bei Youtube abrufbar. 

Janina Spescha und ihre Oma. Bild: E. Bardill

Podcast – Produktion, Konzept und Technik

Ein Podcast ist eine Audio-/Video-Datei plus RSS-Feed. Für Janina war schon lange klar, dass sie sich für ihre Maturaarbeit die Geschichte ihrer Oma in irgendeiner Form festhalten möchte. Sie entschloss sich für einen Podcast. Diese Form wird immer beliebter, da sich junge Leute eher einen Podcast anhören, als dass sie ein Buch lesen. Sie sind mit Kopfhörern unterwegs. Es kann eine tiefe Verbindung zwischen den Hörenden und der Erzählerin hergestellt werden. Janina: «Ein Podcast ist geeignet, um jungen Menschen ein historisches Thema näherzubringen. Das ist wichtig für mich, da ich über ein emotionales Thema spreche. Ich möchte ein gewisses Vertrauen zur Zuhörerschaft aufbauen. Die Leute sollen sich beim Zuhören wohlfühlen.» Schritt für Schritt erarbeitete Janina mit Literatur, Experteninterviews und mit ihrer Oma die Sendung mit einer starken Botschaft. Einerseits war es eine rein rationale Arbeit zur Podcasterstellung mit vorbereitenden Beschreibungen über Thema, Folgetiteln Profilbild, Manuskripte, Finanzen, Veröffentlichung und Vermarktung… Die Schülerin hat professionell gearbeitet. Sie wurde von Markus Seifert bei Radio Grischa tatkräftig unterstützt. Für die Sprechpassagen hat Janina hinzugelernt. Sie erhielt Einblick ins Archiv beim Schweizerischen Roten Kreuz in Bern. Die Interview-Aussagen der Historikerin SRK, Lea Moliterni, wurden zum wichtigen Bestandteil des Podcasts in vier Folgen. Im Zentrum der Maturaarbeit steht die Oma von Janina als ehemaliges «Rotkreuz-Zugkind». Zugang über: CrossCast Janina Spescha wie auf allen Streamingdiensten.

Kinder aus Budapest am Wiener Bahnhof. Bild: E. Bardill

Omas Schlusswort

Die Schweiz hat mir sehr viel Glück gebracht. – Lea Moliterni: Dass junge Menschen wie Janina so viel Interesse am Kinderhilfswerk zeigen, unterstützt meine, vielleicht naive Hoffnung, dass die Menschheit in der Gegenwart und Zukunft friedfertiger wird. 

Gerhard im Garten an der Josefstrasse, 1947. Bild: E. Bardill
Elisabeth Bardill