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Furna
12.03.2025

«Früher war es einfach anders»

Hat viele Erinnerungen an das Furna von früher: Marco Frigg.
Hat viele Erinnerungen an das Furna von früher: Marco Frigg. Bild: Ch. Imhof
Marco Frigg ist Autor und lebt in Cazis. Aufgewachsen ist der Kreative in Chur. In seinem neusten Buch «Adidas und Zoccoli» schaut der 73-Jährige zurück auf seine Kindheit, die sich zwischen der Bündner Hauptstadt und dem Veltlin abgespielt hat. Wie es der Zufall will, hat die Ortschaft Furna in dem Werk auch eine tragende Rolle.

Wenn Marco Frigg an seine Kindheit und Jugend zurückdenkt, fällt ihm als Erstes ein, dass er nie wirklich gerne in die Schule gegangen ist. Darum habe er sich nach der Schule auch für das KV entschieden, da man dort gerade mal einen Tag in der Woche in die Schule musste. «Ich war, wenn ich im Schulzimmer gesessen bin, mit meinem Kopf immer an einem anderen Ort.» Das verwundert gewissermassen, denn vor seiner Pension war Marco Frigg 41 Jahre lang als Lehrer an der Gemeindeschule von Cazis tätig.

In zwei Welten zu Hause

Durch seine Mutter, die aus dem Veltlin stammt, schlagen zwei Herzen in Friggs Brust «Sie ist mit 20 nach Chur gezogen, hat im Café Maron gearbeitet. Dort ist ihr dann Anfang der 50er-Jahre mein Papa über den Weg gelaufen.» Dadurch habe er und seine Familie schon in frühster Kindheit eine sehr enge Bindung zur Weingegend in Italien gehabt. Das Elternhaus seiner Mutter im kleinen Dorf oberhalb von Morbegno hat Spuren in ihm hinterlassen. «Ich weiss es noch, als wäre es gestern gewesen, wie jeweils die Sommerferien angefangen haben.» Seine Grossmutter hatte damals eine Osteria, so nennt man in Italien eine Gaststätte, wo es immer helfende Hände gebraucht habe. «Meine Mutter hat dort mitangepackt und mein Vater musste jeweils nach wenigen Wochen wieder nach Chur, um zu arbeiten. So genoss ich die maximale Freiheit dort.» Autobiografische Geschichten aus dieser Zeit finden sich auch in seinem neuen Buch «Adidas und Zoccoli», sagt Marco Frigg. «Der Einstieg in das Buch beschreibt, wie ich mit meinem Freund in der Küche sitze und spreche. Er stammte aus einer armen Bauernfamilie, die gerade mal fünf Rinder besass.» Weil es seiner Familie durch die Arbeit des Vaters in der Hauptstadt finanziell gut ging, bat ihn seine Mutter, dem armen Jungen doch seine Adidas-Schuhe zu schenken. «Ich musste meine geliebten Turnschuhe dort lassen, weil in der wärmeren Jahreszeit trugen die Bauernfamilien, inklusive die Kinder, Zoccoli. Diese zwei Welten prallen im Buch aufeinander: Chur mit den Adidas-Schuhen und das Veltlin mit den Zoccoli.»

Immer sehr geheimnisvoll

Doch diese zwei Welten sind nicht die einzigen Gegensätze, die Frigg in seinem neuen Werk verarbeitet hat. Ebenfalls wird sein Onkel porträtiert, der Pfarrer in Furna war. Es sei für ihn immer eindrücklich gewesen, wie dieser weltmännisch, mit dem Talar umgehängt, auf die Kanzel stieg und vor der Gemeinde predigte, während er ihn privat als ziemlich lockeren und zugänglichen Typen kannte. Von der Amtszeit seines Onkels, die sich von den 50er-Jahren bis in die 60er erstreckte, sind Marco Frigg einige Anekdoten geblieben. «Immer zwischen Weihnachten und Neujahr sind wir als Kinder beim Onkel Pfaff in Furna gewesen. Er hatte zu dieser Zeit jeweils Gastmusikanten da, die in der Kirche von Furna aufgespielt haben.» Heute kriege er noch «Hühnerhaut», wenn er an das Pfarrhaus in Furna zurückdenke. «Da hattest du in der Stube ganze Wände voller Bücher, und das waren für mich in den 50er-Jahren als Bub extrem spannende Werke.» Es habe dort Bücher über Länder aus der ganzen Welt mit Fotos drinnen gehabt. Oder dicke, verzierte Bücher mit komischen Schriften drinnen, aus denen er nur einzelne Wörter entziffern konnte. «Und immer dann, wenn man dort sich in die Bücher vertieft hatte, hörte man ein monotones Brummen und der Boden begann zu vibrieren. Dann wusste ich, dass der Generator lief.» Man kann es sich beispielsweise heute gar nicht mehr vorstellen, aber zu dieser Zeit war Furna noch nicht ans Stromnetz angeschlossen. Darum musste sein Onkel mit Benzin für Licht und Wärme sorgen. «Das war für mich immer sehr geheimnisvoll.» Elektrifiziert wurde Furna erst 1968, als zweitletzte Gemeinde im Tal. Strom im ganzen Tal hat es übrigens erst seit dem Jahr 1977, als auch noch Schuders Stromleitungen erhielt.

Die Erinnerungen an Furna

Es waren andere Zeiten, an die Marco Frigg aber heute noch gerne zurückdenkt. «In der Küche wurde noch mit Holz gekocht.» Ähnlich wie im Veltlin hat der Churer bemerkt, dass auch die Kinder in Furna «anders» waren als er. «Wir sind dann ‘gögeln’ gegangen und ich merkte, dass sie nicht nur anders sprachen, sondern auch ganz anders angezogen waren als ich. Diese Kinder sind mit schweren Schuhen in die Schule gegangen, trugen dicke Pullover und grosse Tornister.» Er erinnere sich noch gut, wie er unheimlich gerne bei einem gewissen Betty auf dem Schlitten gesessen sei. «Sie hat mir gefallen wie verrückt. Das ist mir geblieben, wie der viele Schnee. In Furna bin ich deshalb auch zum ersten Mal auf den Skiern gestanden.» Das seien lange Latten gewesen, die vorne am Spitz ein «Töggelchen», aber keine wirklichen Kanten hatten. «Beim Brunnen ging es leicht abwärts und dort bin ich meine ersten Meter auf Schnee gefahren.»

Wenn die Freude durch Druck vergeht

Auch wenn der Geschichtenerzähler gerne in Erinnerungen schwelgt, er macht das nicht mit einem verklärten Blick zurück. «Früher war es nicht besser oder schlechter als heute. Es war einfach anders.» Er schätze es beispielsweise sehr, wie er heute ein Konzert von seinen Lieblingsbands Jethro Tull, Beatles oder auch den Beach Boys innerhalb von wenigen Minuten im Internet finde oder auch sonst rasch auf Informationen zugreifen könne. Alles Digitale verteufeln sollte man nicht, und doch gebe ihm die Omnipräsenz der Natels in den Händen von Kindern zu denken. «Das unterbindet den sozialen Kontakt zueinander. Für mich als Lehrer war es eine grosse Leidenschaft, den Kindern etwas zu erzählen. Ich hatte immer im Schulzimmer eine grosse Bibliothek, bei der sich alle Kinder bedienen durften.» Das haptische Lesen und Bücheranschauen fehle ihm ein wenig in den heutigen Schulzimmern, da zunehmend mehr auf iPads und dergleichen gesetzt werde. «Ich verstehe natürlich auch, dass die Lehrpersonen heute anders gefordert sind vom Lehrplan her, als wir es damals waren.» Trotzdem gebe es viele junge Lehrpersonen, die noch heute gerne in die Zukunft investieren und mit viel Herzblut unterrichten. Doch Frigg kennt auch einige, denen der Druck zu viel wurde und die deshalb den Lehrberuf an den Nagel gehängt hätten. «Diese Lehrpersonen bekommen Druck von den Eltern, welche sich selber Druck aufsetzen, ob ihr Kind denn auch den Ansprüchen entsprechen wird.» Auch die Eltern seien nicht wirklich anders als früher, aber auch viel stärker unter Druck. Diesen gelte es aus der ganzen Gleichung zu entfernen, da er nicht Diamanten, sondern Frustration schaffe.

Christian Imhof