Home Region Schweiz/Ausland Sport Agenda Magazin
Maienfeld
28.05.2025

«Wenn man etwas will, schafft man es»

Balz Eggimann: Vom Zentrum der globalen Finanzwelt zurück nach Maienfeld ins Herz von Graubünden.
Balz Eggimann: Vom Zentrum der globalen Finanzwelt zurück nach Maienfeld ins Herz von Graubünden. Bild: T. Egli
Balz Eggimann ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit mit einer beeindruckenden Karriere im internationalen Bankwesen. Geboren und aufgewachsen in Jenaz, zog er 1982 nach New York, um bei der damals grössten Bank der Welt zu arbeiten. Dort entwickelte er sich zu einem der erfolgreichsten Banker seiner Zeit. Seit knapp drei Jahren ist er wieder zurück im Kanton Graubünden, wo ich den über 70-Jährigen für ein ausführliches, sehr lehrreiches Gespräch getroffen habe.

«Nach der Lehre merkte ich, dass ich ein Problem habe», sagt Balz Eggimann. Die KV-Lehre schloss er miserabel ab, wie er selbst sagt. Note 4.3. Seine Mutter: «Naja, ist nicht gerade rühmlich.» Seine Antwort: «Mama, es ist noch schlimmer. Ich kann gar nichts. Ich habe drei Jahre lang versaut.» Eine Zeit lang habe er dann auch auf dem Bau gearbeitet, «als junger Mann wollte mich niemand in der Bank». Doch er gibt nicht auf. Stattdessen geht er nach England und lernt Englisch. «Ich hatte ein Problem und wollte etwas können, was andere nicht können. Bei uns hat niemand Englisch gesprochen. Damals war das normal.»

Der Eintritt in die Bankwelt

Zurück in der Schweiz hört er, dass die amerikanischen Banken in Genf Bewerber suchen. Er bewirbt sich. «Bei einer Schweizer Bank hätte ich keinen Job gekriegt.» Damals erreichte man dies nur mit einer höheren Position im Militär – und davon war Eggimann weit entfernt. Auf Hinweis eines Kollegen aus der Rekrutenschule bewirbt er sich bei einer amerikanischen Bank. «Die brauchten damals unbedingt Leute.» Er geht zur Citibank – damals First National City Bank of New York, die grösste Bank der Welt. Das Vorstellungsgespräch prägt ihn für immer. «Warum sollen wir Sie einstellen?» Seine direkte Antwort: «Ganz ehrlich: Ich würde mich nicht einstellen. Ich kann nichts. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich brutal reinhänge. Ich will und muss lernen.» Die amerikanischen Banken seien bekannt gewesen für «hire and fire». Aber: «Je mehr Druck ich zu diesem Zeitpunkt hatte, desto besser war das für mich.» Er bekommt den Job. Nicht trotz, sondern vermutlich wegen dieser Ehrlichkeit. Der Kanadier, der ihn damals einstellte, ist noch heute mit ihm in Kontakt. Diese Ehrlichkeit hat Eggimann später beibehalten. Er war jahrelang neben seiner Tätigkeit in den Banken auch Ausbildner, hat ebenfalls heute noch Kontakt zu gewissen Studenten von damals. «Wenn Studenten zu mir kamen aus der Uni mit einem Resümee von zwei Seiten, warf ich das gleich wieder weg.» In diesem Moment könne einer noch gar nichts. «Du hast mir bewiesen, dass du lernfähig bist. Jetzt ist die Frage: Bist du lernwillig? Weil in der Praxis funktioniert das anders als in der Theorie.»

Leistung, Druck und erste Erfolge

Seine Ausbildung in der Bank Anfang der 1980er-Jahre war knallhart. Im Alter von 30 Jahren wird er nach New York geschickt, zuständig für das Private Banking in Nordeuropa. Diese Bank sei die Universität der Banker gewesen. «Sie hatten gute Ausbildungsprogramme, wo du jedes Jahr Prüfungen ablegen musstest. Wenn du nicht bestanden hast, wurdest du entlassen.» Das sei eine grobe Art der Ausbildung gewesen. Dies habe auch eine hohe Selbstmordrate als Auswirkung gehabt. Menschen seien teilweise furchtbar abgestürzt. «Das zu sehen war traurig», sagt er nachdenklich. Heute sei das nicht mehr so extrem wie damals. Trotzdem: Eggimann ist drangeblieben und wusste: «Wenn man etwas will, schafft man es. Das ist etwas, was ich allen jungen Menschen sage: Setzt euch ein und lernt. Wissen ist Kapital. Das kann dir niemand nehmen.»

Mehr Einsatz als der Rest

In New York arbeitet er nicht nur fünf Tage die Woche. «Ich musste praktisch immer auch am Samstag ran, ansonsten kriegte ich das Pensum nicht hin.» Anfangs habe er immer gedacht, dass alle anderen besser seien als er. Bis er gemerkt habe, dass jene die Arbeit nicht machten und nur so taten. «So wurde ich auf einmal beschleunigt und kriegte grössere Verantwortung.» Auch, weil er damals hie und da abends um 22.00 Uhr mit dem höchsten Chef, Walter Wriston, im Lift gewesen sei. Wriston war der Präsident der Bank und bezeichnete ihn als «young man». Einmal sagte er: «Du arbeitest wahnsinnig viel.» Ich antwortete: «Ich muss, ansonsten bringe ich das Pensum nicht hin. Offensichtlich sind alle anderen schlauer als ich, denn die müssen nicht so lange arbeiten.» Er sagte mir, das sei jetzt nicht gerade ein Kompliment für ihn. Das war mir unglaublich peinlich, sagt Balz Eggimann lachend. Walter Wriston war der höchste Banker der Welt damals und hat eine halbe Million verdient im Jahr. «Das ist ein wahnsinniger Unterschied zu heute», sagt Balz Eggimann mit bestimmter Stimme. Natürlich war das 1982 unheimlich viel Geld, aber trotzdem: Heute beziehen Top-Banker Boni und Gehälter in zweistelliger Millionenhöhe pro Jahr. Dieser Wandel zeige, wie massiv sich die Finanzwelt in den letzten 40 Jahren verändert hat, wie Eggimann betont.

Kontakt der Superreichen

Der Prättigauer berät aus New York bald darauf Milliardäre. Riesige Vermögen. Unternehmen wie Mercedes, Siemens oder BMW waren Firmen in Familienbesitz damals. Sie sicherten sich Geld in Amerika, damit es während der Zeit der Sowjetunion nicht verloren gehen konnte. «Wenn ich jeweils den obersten Chef einer Firma angerufen habe, hat der natürlich sofort abgenommen – das war ihnen wichtig.» So habe sich sein Name dann auch herumgesprochen unter den Superreichen. Er war ihr Kontakt in New York. «Am meisten Anrufe hatte ich jeweils Freitagnachmittag. Sie wollten wissen, was gelaufen ist – welche Wirtschaftszahlen, was in den Märkten gelaufen ist etc. – um am Wochenende beim Golfen oder Essen auf dem aktuellen Stand zu sein. So konnten sie angeben mit ihrem Wissen der Weltwirtschaft.» Am Ende vom Tag seien auch Superreiche oft ganz normale, teilweise sehr einfach gestrickte Menschen. Vor allem die zweite, dritte Generation sei dann oft wieder anders, als die Gründer es waren. «Die glänzen nicht alle, viele blenden auch.» Doch den Unterschied zwischen blenden und glänzen sehe man erst aus der Nähe.

Beim «Znacht» mit Mandela

Mit gewissen Kunden war er dann auch in den Zeitungen zu sehen, einige wurden zu engen Freunden. «Wir haben verrückte Sachen zusammen gemacht.» In Südafrika etwa haben sie gemeinsam Weinberge gekauft. Namen nennt er keine. «Ich habe heute noch Kontakt zu gewissen Kunden oder ihren Bekannten.» Was er aber verrät: «Ich war beim Abendessen mit Nelson Mandela.» Mir fallen bei diesem Satz die Kinnladen runter. Balz Eggimann erzählt ganz normal weiter: «Nelson Mandela war eine wahnsinnige Figur. Kein Mensch hat mir jemals mehr Eindruck gemacht als er.» Ich denke mir: Gibt es wohl einen anderen Menschen aus dem Prättigau, der jemals mit einer Persönlichkeit wie Nelson Mandela zu Abend gegessen hat?

Der Besuch des Vaters

1988 hatte sein Vater den 65. Geburtstag. Für diesen Anlass reiste Balz Eggimann als Überraschung in die Schweiz. Er hatte seine Brüder beauftragt, im Schloss Brandis in Maienfeld einen Tisch zu reservieren. Als alle am Tisch sassen, trat er ein und sang «Happy Birthday». Die Freude war gross. Nur einen Tag später flog er zurück nach New York. Für ihn sei Fliegen wie Schlafen gewesen. Sein Vater fragte: «Wann bist du gekommen und wann gehst du wieder?» Eggimann drückte ihm daraufhin ein Ticket in die Hand: erste Klasse, Zürich – New York retour. «Aber nur, wenn du mich am Flughafen abholst», habe sein Vater gesagt. Eggimann tat es. Damals war er bereits bei der Bank Julius Bär, zuständig für das Private Banking in Nordamerika. Er nahm den Vater überall mit hin – ins Büro, in Meetings. «Er war beeindruckt, als er gesehen hat, wie ich arbeite.» Ein Moment bleibt Balz Eggimann besonders in Erinnerung: Beim Mittagessen beobachtete Eggimann den Markt, während er zuvor Dollar/Mark für 100 «Bucks» verkaufte. Der Vater fragte erstaunt, weshalb wegen «100» so ein Trubel gemacht wurde. Erst später erklärte Eggimann: «Ich habe nicht 100 Dollar verkauft, sondern 100 Millionen.» Der Vater habe danach keinen Bissen vom Mittagessen mehr runtergebracht. Am Ende verdiente die Bank 1,5 Millionen Dollar während diesem Essen. Als der Vater dann wissen wollte, was passiere, wenn etwas schieflaufe, beruhigte ihn sein Sohn: «Natürlich läuft viel falsch. Aber wenn du öfter recht hast als falsch, lohnt es sich.»

Gesunder Menschenverstand

Eggimann war das jüngste von vier Kindern, aufgewachsen mit «fünf Elternteilen», wie er sagt. Sie hatten zu Hause die Bäckerei in Pragg und wurden so erzogen, dass soziale Pflichten wichtig waren. Nicht alle Kunden konnten damals bezahlen. Diese soziale Verantwortung habe ihn sicherlich geprägt. Die Familie habe immer einen sehr starken Gerechtigkeitssinn gehabt. Den gesunden Menschenverstand sehe er als grosse Qualität der Bergler. «Es ist sicher so, dass wir Dinge nicht immer 1:1 glauben und hinterfragen, ob das überhaupt möglich ist.» Nicht immer alles blind zu glauben sei wichtig, das habe ihm auch in seiner Bankkarriere massgeblich geholfen.

Zurück in der Schweiz

2022 – nach 40 Jahren in den USA – kehrten Balz Eggimann und seine Frau Elisabeth in die Schweiz zurück. «Bei mir ist Heimat dort, wo man wohnt.» Er sei und wolle immer noch ein moderner Zigeuner sein. Nicht überlegen, wo man die übernächste Woche ist – das ist Balz, wie er leibt und lebt. «Zum Teil ist das vielleicht auch etwas eine Flucht», sagt er nachdenklich. Er könne morgens aufstehen und denken: Jetzt gehe ich nach Genf. «Das muss meine Frau natürlich aushalten. Aber sie ist auch viel unterwegs und eine moderne Zigeunerin.» Kinder wollten sie auch deshalb keine. «Ich war im Jahr oft mehr als sechs Monate unterwegs.» Seit er 70 sei, merke er, dass er nicht mehr so einfach reisen könne. Auch mit dem Jetlag habe er mehr zu kämpfen. Die Rückkehr in die Heimat sei kein riesiger Schritt gewesen, da er und seine Frau, die ursprünglich aus dem Montafon stammt, schon früher oft hierhin kamen. «Das Tempo in der Schweiz ist sehr viel langsamer, aber ich bin auch langsamer geworden.» Früher, wenn er von New York zurück nach Zürich kam, habe sich das immer angefühlt, als würde er im ersten Gang mit Standgas fahren.

Zurückgeben, was zählt

Sein Engagement in der lokalen Gemeinschaft als Besitzer des «Landhauses» in Jenaz und die Bereitschaft, sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen, machen ihn zu einer einzigartigen Persönlichkeit. «Mit dem ‘Landhaus’ will ich meiner Gemeinde etwas zurückgeben.» Und nicht nur in Jenaz. Auch in Maienfeld geht er in die Weinstube, kauft für alle Gipfeli und trifft sich mit der Gemeinschaft. Die Menschlichkeit ist durch und durch spürbar während diesem Besuch – obwohl einer der weltweit mächtigsten Banker der 1980er- bis 2020er-Jahre vor mir sitzt.

Tanja Egli