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Schweiz
30.09.2025

Am Limit: Bergrettung im Helikopter

Michael Kuster war Feuerwehrmann, Polizist und Bergretter bei der Air Zermatt. Ganz konnte er sich vom Dienst im Helikopter nicht trennen. Jeden Monat fliegt er ein paar Einsätze im Kanton Graubünden. Daneben ist er beim Rettungsdienst Schaffhausen, Swiss Ski und im OK des Stars in Town.
Michael Kuster war Feuerwehrmann, Polizist und Bergretter bei der Air Zermatt. Ganz konnte er sich vom Dienst im Helikopter nicht trennen. Jeden Monat fliegt er ein paar Einsätze im Kanton Graubünden. Daneben ist er beim Rettungsdienst Schaffhausen, Swiss Ski und im OK des Stars in Town. Bild: zVg.
Bis heute waren seine Berufe eher Berufungen und alles andere als gewöhnlich. Bei allen Blaulichtorganisationen war er im Einsatz und kämpft noch heute in der Luft um Menschenleben – manchmal auch um sein eigenes. Michael Kuster ist zudem OK-Mitglied des Stars in Town.

«Nicht einmal der kleinste Fehler wird dir verziehen. Du musst in dieser hochalpinen Umgebung innert kürzester Zeit alles wahrnehmen und blitzschnell reagieren. Dieser Rettungsdienst ist deshalb vom Level her mit der Formel 1 im Rennsport oder der Nationalmannschaft beim Skifahren zu vergleichen», sagt Michael Kuster, Rettungssanitäter und ehemaliger Polizist, zur einzigartigen, aber sehr herausfordernden Arbeit bei der Air Zermatt. Doch wie landete er überhaupt bei dieser vielleicht weltweit einzigartigen Bergrettungs-Elite?

Vom Bauzeichner zum Bergretter

Zum Ende der Schulzeit habe er das Bauwesen ins Auge gefasst und deshalb eine vierjährige Ausbildung zum Bauzeichner absolviert. Nach dem Militärdienst nahm Michael Kuster zudem eine Zusatzlehre als Zimmermann in Angriff. Das angepeilte Ziel hiess Holzbauingenieur. Es kam aber alles anders. Daran schuld war ein Skiunfall. Seit klein auf steht der Schaffhauser auf den Brettern. Und eines Tages passierte es. Die kaputte Schulter legte ihn ein Jahr lahm. «Der Arzt bot mir zwar eine Operation an, glaubte dennoch nicht daran, dass ich jemals wieder als Zimmermann arbeiten könnte.» Um den Kopf freizukriegen und nach einem neuen beruflichen Weg zu suchen, ging er eine Saison nach Flims. Da war er in einem Sportgeschäft sowie in der Skischule tätig und versuchte, das Leben ein wenig zu geniessen.

Eigentlich habe er bereits zu dieser Zeit mit dem Rettungsdienst geliebäugelt. Das Berufsbild sei noch nicht so klar definiert und zudem sehr neu gewesen. «In einem Bericht las ich, dass die Polizei Leute sucht. Darauf habe ich mich gleich beworben», erinnert sich Kuster. Er wurde dann in die Polizeischule aufgenommen und arbeitete rund acht Jahre, bis Anfang 2008, bei der Schaffhauser Polizei. Da sei ihm der Unterschied zwischen einer Miliz, wie der Freiwilligen-Feuerwehr, bei welcher er selbst zwölf Jahre war, und einer Berufsorganisation, wie der Polizei, erst recht bewusst geworden. Nicht nur, dass es bei der Polizei viel mehr Übungen gab, sondern diese auch viel intensiver und vielschichtiger waren. Aus der Zeit habe er schöne und weniger schöne Erinnerungen. «Die Bilder eines toten Kindes, welches wir aus dem Bach gezogen haben, oder der erste Einsatz bei einem Verkehrsunfall, mit einer verstorbenen Person, bleiben fest im Gedächtnis verankert», sagt Michael Kuster nachdenklich im Gespräch mit dem «Bock». Auch habe es einmal eine Situation gegeben, in der er auf eine sichtbare Pistole mit dem Ziehen seiner Dienstwaffe reagieren musste. «In mir kam ein Gefühl hoch, welches sagte, dass es bald knallt.» Zum Glück sei es nicht dazu gekommen.

Am Anfang habe sich manches wie eine Überforderung angefühlt. Er habe sich zuerst eine Strategie zur Bewältigung all dieser Erlebnisse zurechtlegen müssen. Es sei zudem berechtigt, dass die Trainingseinheiten ans Militär angelehnt sind. Nur wenn mit realistischen Szenarien geprobt wird, könne man im Ernstfall professionell vorgehen. «Oft geht alles so schnell zu und her, dass keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Du musst intuitiv handeln.»

Aus privaten wie auch beruflichen Gründen entschied er sich die Arbeit bei der Polizei zu beenden und den Rettungsdienst nochmals ins Spiel zu bringen: «Ich habe überall hin Blindbewerbungen geschickt. Wer hätte gedacht, dass gerade die Air Zermatt einen Unterländer wie mich aufnimmt.»

Eigenes Leben stets auf dem Spiel

«Von der Piste aus konnte ich bei guten Schneeverhältnissen direkt auf meinen Balkon fahren», sagt Michael lächelnd. Regelmässig habe er Besuch von Freunden erhalten. Während der Hochsaison ist die Air Zermatt aber noch mehr im Einsatz. Deshalb sei es ihm nicht möglich gewesen, sie zu jeder Feier zu begleiten. Dies wiederum sei nicht immer auf Verständnis gestossen. Jeder Einsatz verlangt aber einen klaren und frisch ausgeruhten Kopf.

Es sei für ihn von Vorteil gewesen, dass er bereits Einsatzerfahrung vorweisen konnte. Das Training bei der Air Zermatt habe direkt im Helikopter begonnen. Dieses Umfeld sei so ganz anders als in einem Krankenwagen. Es müssen laufend die unterschiedlichsten Dinge im Auge behalten werden. Trotz eines Notarztes an Bord, habe er zudem von Beginn an einiges selber anpacken müssen. Das brachte ihn an seine Grenzen. «Du kannst am Anfang noch nicht jede Situation auf den Punkt genau einschätzen, was dich logischerweise überfordert», hält Kuster fest. In den zehn Jahren seines Einsatzes habe er wahrscheinlich alles gesehen und erlebt – im positiven und negativen Sinn. Es sei eine einmalige Zeit gewesen, in der er sich dennoch hin und wieder eine wichtige Frage stellte: «Weshalb führe ich diese vielen lebensgefährlichen Einsätze aus und bin ich weiterhin dazu bereit?»

«Weshalb führe ich diese vielen lebensgefährlichen Einsätzen aus und bin ich weiterhin dazu bereit?»
Michael Kuster, Rettungssanitäter, einst bei der Air Zermatt, Projektmanager für Sicherheit, im Medic-Team von Swiss Ski, ehemaliger Polizist

Das hochalpine Einsatzgebiet in Zermatt sei auf einer anderen Stufe. Das Wetter könne sich minütlich um 180 Grad drehen. «Wir haben bestimmt sechs Einsätze bei prekären Wetterverhältnissen geflogen.» Diese Entscheide seien aber niemals leichtfertig getroffen worden. Die Crew der Air Zermatt bestehe nur aus Profis. Jede Situation werde zuerst analysiert, bevor es ans Lösen des Problems gehe. Erfordere es die Situation, fliege der Helikopter ein paar Mal um die Unfallstelle. «Auch wenn dafür zwei, drei oder zehn Minuten benötigt werden, wir fliegen niemals blind hinein. Anderweitig würden wir nicht von einer professionellen Rettung sprechen.»

Trotz aller Massnahmen, Erfahrung und Können auf höchstem Niveau, ist etwas Unerwartetes nie ausgeschlossen. So habe er Kollegen aus verunfallten Helikoptern gezogen und bei Flugabstürzen und Lawinen gar Air Zermatt Kameraden verloren. «Die anderen und ich hatten vermutlich einfach ganz viel Schwein.» Aus wettertechnischen Gründen habe es Situationen gegeben, welche eine Rettung fast bis ganz unmöglich machten. Wenn man wisse, dass da oben Menschen um ihr Leben bangen, und es womöglich nicht überleben, mache das etwas mit einem. Um dabei die Nerven zu behalten, habe er gebetsmühlenartig zu sich gesagt: «Du kannst nichts dafür. Höhere Gewalt oder eine schlechte Vorbereitung der Verunglückten sind dafür verantwortlich.»

Ein Wunder

Am fliegerischen und körperlichen Limit befanden sich der Schaffhauser und seine Kollegen bei der Air Zermatt mehr als nur einmal. Allein das Hinaufsteigen und pfeilschnelle Hinunterdonnern mit dem Heli nage an der Substanz. Auch die kognitiven Fähigkeiten seien bei Höhen von über 4000 Metern eingeschränkt. Und doch müsse jeder irgendwie funktionieren.

Er erinnere sich gut an einen ganz speziellen Einsatz. Auf über 4600 Metern seien ein Bergführer und sein Kunde 20 Meter hinuntergestürzt und auf dem darunterliegenden Eisfeld zusätzlich 150 Meter weitergerutscht. Das Wetter habe einen Flug kaum erlaubt. Der Helikopter sei nur noch komplett leer in solch einer Situation und Höhe manövrierfähig. Mit Not hätten sie in der Nähe Bergführer abgesetzt. Um etwa 16 Uhr habe sich ein Wolkenloch aufgemacht, das sich nach längerer Beobachtung als statisch erwies. Als da Go erteilt wurde, seien sie bei der Monte Rosa Hütte gestartet, mit dem Wissen, dass sie nur etwa 30 Sekunden Zeit haben, um hineinzufliegen und die Verunglückten zu bergen. «Wir zerrten die Verletzten hinein, denn in diesem Moment war auch unser Leben in Gefahr.» Auf dem Flug ins Tal habe er die Patienten untersucht und beim Bergführer festgestellt, dass der Thorax weich wie ein Kissen war. Auch um die andere Person stand es sehr schlecht. Die Chance, dass die beiden Personen überleben würden, sei bei maximal einem Prozent gelegen. Auf dem Weg ins Unispital Bern, hätten sie ohne Pause reanimieren müssen, was die Rettungskräfte über ihre körperlichen Grenzen brachte. Aber ohne diesen Einsatz wären die beiden gestorben. Nach rund zwölf Wochen hätten beide Verunglückten ohne bleibende Schäden das Spital verlassen können. Der Bergführer ging sogar wieder seiner Arbeit nach.

Unterdessen arbeitet Michael Kuster beim Rettungsdienst Schaffhausen. Ganz konnte er sich dennoch nicht von der Fliegerei verabschieden. Er trägt sich für drei bis vier Einsätze pro Monat in Graubünden ein. «Wir sind da alles ehemalige Air Zermatt Bergretter.» Die Arbeit könne auch da riskant sein. Ans Limit komme man dennoch nicht so oft wie in Zermatt.

Sandro Zoller, Schaffhausen24