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Weil der Applaus alleine nicht reicht

Bettina Hoch setzt sich ein für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche.
Bettina Hoch setzt sich ein für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche. Bild: C. Imhof
Am 28. November 2021 wird über die Pflegeinitiative abgestimmt. Bei einem allfälligen Ja an der Urne sollen unter anderem eine Ausbildungsinitiative gestartet, Berufsausstiege durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen verhindert und die Pflegequalität gesichert werden. Wie es um den Pflegeberuf steht, welchen Einfluss Corona auf die Gesamtsituation hat und vieles mehr haben wir beim Gespräch mit Bettina Hoch vom Initiativkomitee erfahren.

«Am 6., 13. und am 20. November wird es auf dem roten Platz in Landquart eine Aktion für die Pflegeinitiative geben», sagt Bettina Hoch, die beim Bündner Komitee neben dem Kreis Fünf Dörfer, auch für das Vorderprättigau und die Bündner Herrschaft zuständig ist. «Im Prättigau planen wir auch öffentliche Aktionen, wenn wir denn Pflegende finden, die sich dazu bereit erklären, mitzumachen.» Dieser kleine Nebensatz bringt die aktuelle Lage in der Pflege recht gut auf den Punkt. «Leider sind viele Pflegenden oft nach der Arbeit dermassen ausgelaugt, dass sie einfach die Freitage zur kompletten Regeneration brauchen, was irgendwie verständlich ist.»

Missliche Lage

Es sind die Arbeitsbedingungen, welche viele junge Menschen davor abschrecken in die Pflegebranche einzusteigen. Die Zahlen zeigen in der Tat ein düsteres Bild. Aktuell sind in der Schweiz nämlich rund 11 000 Pflegestellen unbesetzt und bis 2029 werden 70 000 zusätzliche Pflegende notwendig. Zudem komme noch der Umstand, dass vier von zehn Pflegenden den Beruf frühzeitig wieder verlassen. «Die Lage ist nicht erst seit der Pandemie so und sie spitzt sich immer mehr zu», wie die Untervazerin erklärt. «Es ist nämlich nicht nur so, dass die Menschen immer älter werden. Auch sonst ist die Medizin ex-trem weit und es ist beispielsweise möglich, dass viele Frühchen überleben und anschliessend eine intensive Pflege brauchen.» Die Work-Life-Balance stimme nicht, denn eine verlässliche Zeit- und Dienstplanung, sowie familienfreundliche Strukturen seien aktuell nicht gegeben. «Der Lohn als Fachperson Gesundheit oder auch als HF muss dringend den hohen Anforderungen und der grossen Belastung angepasst werden. Er muss ausserdem vor allem besser in den Kosten und den Tarifen abgebildet werden, damit die Institutionen mehr Spielraum haben. Ausserdem muss endlich etwas unternommen werden, da viele der Pflegenden jetzt schon ziemlich ausgebrannt sind und es sogar schon Fälle von posttraumatischen Belastungsstörungen in der Branche gegeben hat, wie Statistiken zeigen.»

Am 28. November 2021 wird über die Pflegeinitiative abgestimmt. Bild: C. Imhof

Doch ein schöner Beruf

Wenn Bettina Hoch, die als Kinder-Spitex-Pflegende tätig ist, über ihren Beruf spricht, spürt man als Zuhörer nie eine Verbitterung. Sie habe es nie bereut, Menschen zu pflegen. «Ich liebe meine Arbeit und auch der Applaus damals während des ersten Lockdowns hat mir und vielen sehr gut getan.» Es sei einfach immer schwieriger, Jugendlichen die schönen Seiten des Berufs aufzuzeigen. «Wir würden uns ja wirklich gerne viel mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten nehmen und sie bis zur kompletten Genesung begleiten, doch leider wird überall gestrichen und viele Kranke kommen zu kurz, weil eine Fachperson alleine beispielsweise für 18 Personen zuständig ist. Das tut mir richtig im Herzen weh, wenn ich dann sehe, dass junge Personen, die eigentlich gerne in der Pflege gearbeitet hätten, in ein Büro wechseln, dadurch geregelte Arbeitszeiten und noch einen besseren Zahltag bekommen.» Das sei traurig, da schon viel zu lange, viele gute Pflegerinnen und Pfleger in andere Branchen abgewandert seien und so der Pflege mit der Zeit das frische Blut ausgehe. Am 28. November habe die Schweiz die Chance grundlegend Einiges an der Situation zu verändern. Falls die Pflegeinitiative an der Urne durchkommt, ist der Bund im Zugzwang. Dann könne die Politik nicht mehr wegschauen oder das Ganze gar mit einem Applaus ad acta legen. Innerhalb von eineinhalb Jahren müssten dann die Forderungen der Pflegebranche umgesetzt werden und greifen, wie Hoch abschliessend erklärt.

C. Imhof